Abstract
1) In der vorliegenden Arbeit wird eine Synthese ethologischer und physiologischer Ergebnisse und Hypothesen zur Erklärung der formstarren Bewegungsweisen versucht. 2) Zunächst erfolgt eine Besprechung der elementaren Vorgänge am Neuron sowie deren Zusammenwirken im neuralen Verband. Bei der Koordination einfacher Rhythmen spielen vorallem intrazentrale, automatische Koordinationsmechanismen eine Rolle. Bei komplexeren Koordinationen wirken daneben auch noch Afferenzen aus der Peripherie mit (koordinierende Afferenzen). An Hand der Beispiele des Wutverhaltens der Katze, der Nahrungsaufnahme und der Lokomotion bei verschiedenen Säugern lassen sich die Lokalisationen der zentralen Koordinationsapparate komplexerer Verhaltensweisen aufzeigen. 3) Die afferente Aktivierung von "Instinktbewegungen" (LORENZ) weist bestimmte physiologische Eigenschaften auf, die man einem eigenen neuralen Apparat, dem "Angeborenen Auslösemechanismus" zuschreibt. Neurophysiologisch handelt es sich jedoch nicht um einen eigenen Apparat, sondern um das Zusammenspiel der Funktionen der peripheren (Rezeptoren) und zentralen (Afferente Kerne, Thalamus, sensorischer Cortex) afferenten Systeme. 4) Bei Versuchen mit identischen Reizen zeigen Instinktbewegungen grosse Unterschiede in der Reaktionsintensität. Diese gesetztmässigen Schwankungen muss man auf die Wirkung innerer Faktoren zurück führen. LORENZ sah sie als Folge der "endogenen Reizproduktion" und "Erregungsstauung" an. Physiologisch liegen für letztere keine überzeugenden Befunde vor. Wohl aber hat man intrazentrale Rezeptoren und Regulationssysteme (z.B. Formatio reticularis) nachgewiesen, die sowohl die efferenten wie afferenten Systeme bahnend und hemmend beeinflussen und damit jene Intensitätsschwankungen erklären könnten. 5) Vom Begriff der Homeostasie (CANNON) ausgehend, lassen sich Verhaltensweisen als Teilmechanismen von Regelsystemen aufzeigen, die jene physiologischen Gleichgewichtszustände erhalten helfen. Dies wird an den Beispielen des Temperaturhaushaltes, der Nahrungs- und Wasseraufnahme, der Kot- und Harnausscheidung und der Fortpflanzung illustriert. 6) Die Mechanismen, die einen Handlungsablauf beginnen, unterhalten und beenden, bestimmen die Zeitcharakteristika des Verhaltens. Nach den verschiedenen Formen des Bewegungseinsatzes und deren Mechanismen folgt eine Besprechung der Nachwirkungen, die eine Reizeinwirkung überdauern. Eine Beendigung einer Endhandlung soll nach der Theorie von LORENZ dann eintreten, wenn die verfügbare Erregungsmenge verbraucht ist. Physiologisch lassen sich aber eine Reihe, unter einander gänzlich verschiedener Mechanismen nachweisen, die das Handlungsende bestimmen können. Es handelt sich dabei um hemmende Rückwirkungen aus verschiedenen Instanzen des ZNS und der Peripherie. 7) Die einzelnen Bewegungsweisen können sowohl successive wie gleichzeitig aktiviert sein und untereinander in Beziehung treten. Spinale Rhythmen zeigen dabei formal die gleichen Eigenschaften wie verschiedene komplizierte Verhaltensweisen. Dem descriptiven Hierarchieschema des Verhaltens (BAERENDS, TINBERGEN) wird das physiologische Funktionsschema zur Seite gestellt, das die Wirkungsrichtungen und Elemente der physiologischen Faktoren des Verhaltens angibt. Neben den Aktivierungssystemen spielen spezifische Hemmsysteme eine entscheidende Rolle bei der Integration des Verhaltens. Ausser quantitativen Unterschieden in den Reizantworten kommen auch qualitative Unterschiede vor, die auf innere Vorgänge (zentrale Umstellung) zurück geführt werden. 8) Abschliessend werden einige Schlussfolgerungen aus den physiologischen Befunden gezogen und ihre Konsequenzen für die Theorie der Ethologie diskutiert. Vorallem versuchen wir, die physiologische Arbeitshypothese der spontanen Erregungsproduktion, der Stauung und des Erregungsverbrauches durch das Konzept zu ersetzen, dass Verhaltensweisen Teile von selbstkontrollierenden, physiologischen Kreisprozessen sind. Ausserdem wird die Trennung von Reflex und Instinktbewegung als zwei physiologisch verschiedene Bewegungstypen abgelehnt, da sich bei beiden qualitativ und quantitativ die gleichen Eigenschaften aufzeigen lassen. Unterschiede könnte man, rein willkürlich, höchstens graduell in der Komplexität der beteiligten neuralen Apparate sehen. Qualitative Unterschiede bestehen aber zu den Taxien (räumlichen Einstellmechanismen) und der Willkürmotorik. In beiden Fällen ist die Form der Bewegung variabel und stellt selbst den erstrebten Effekt dar. Die Form ist daher auch geregelt. Gegenüber diesen "formvariablen Bewegungsweisen" ist die Form der "formstarren Bewegungsweisen" nicht geregelt, sondern nur deren Intensität.