Thalidomid-Embryopathie

Abstract
Seit dem Frühjahr 1961 versuchten wir, der Ursache der in den letzten Jahren in der Bundesrepublik gehäuft beobachteten Extremitätenmißbildungen auf die Spur zu kommen. Nach Abklärung des Mißbildungstyps und unter bewußter Beschränkung auf die Extremitätenmißbildungen und nach Feststellung der zeitlichen und geographischen Begrenzung der „Epidemie” (Weicker-Hungerland) führten wir durchgehend persönlich eine intensive Befragungsaktion durch. Die Einzelfragen erstreckten sich auf die biologischen Daten der betroffenen Familien, auf deren Lebensgewohnheiten — Nahrungsmittel, Getränke, Brennstoffe, Waschmittel, Spülmittel, Körperpflege, Kunststoffe in Haus und Beruf, medizinische und nicht-medizinische Strahlenbelastung, auf Unfälle, Erkrankungen, Operationen, Narkosen und Arzneimittel und vieles andere mehr. In der vorliegenden Studie werden die Befragungsergebnisse von rund 200 Müttern mit mißgebildeten Kindern, mit denen von rund 300 Müttern mit gesunden Kindern verglichen. Es ergab sich: Das Geburtsalter der Mütter phokomeler Kinder war relativ hoch. Das Geschlechtsverhältnis der Kinder mit einer Embryopathie war normal, die Uberlebenschance dieser Kinder ist erheblich reduziert, die Frauen mißgebildeter Kinder weisen eine höhere Fehl- und Totgeburtenquote auf als die Mütter gesunder Kinder. Eine familiäre Belastung im Sinne des Auftretens analoger Mißbildungen in früheren Generationen spielt so gut wie keine Rolle. Bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Lehrer, Ingenieure und Beamte waren öfter von dem Mißgeschick betroffen, ein mißgebildetes Kind zu bekommen, als ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Keine Rolle in den Schwangerschaftsanamnesen spielten Erkrankungen und dementsprechend auch nicht Behandlungen mit Antibiotika oder Sulfonamiden. Ausgeschlossen werden konnte die von den betroffenen Müttern subjektiv am häufigsten als Ursache empfundene Strahlenbelastung — die Röntgenaufnahme, der Fernsehapparat und die Atombombe. Ebenso einwandfrei ausgeschlossen werden konnten Antikonzipientien und Abortiva. Vor dem Vorliegen von Kontrollbefragungen ergaben sich erste Verdachtsmomente bei den Detergentien, bei Badewasserzusätzen, bei dem Genuß von Eiern und von Apfelsinen und bei drei Gruppen von Arzneimitteln: Bei den Antiemetika Bonamine/Peremesin forte, bei den Hormontests mit Duogynon® bzw. Gynäkosid® und bei dem Schlafmittel Contergan® (Thalidomid). Die Kontrollbefragungen schlossen alle zuerst genannten Substanzen aus. Es blieb ein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen den Embryopathien und dem Thalidomid und der Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen den Embryopathien und den Hormontests. Gezielte Nachbefragungen schwächten letzteren Verdacht ab und erhärteten den bereits gesicherten Zusammenhang zwischen dem Thalidomid und den Embryopathien. Weiter konnten wir feststellen, daß alle die Mütter, die bezüglich der ihnen verordneten Arzneimittel über genaue zeitliche Unterlagen verfügten und ein phokomeles Kind gebaren, zwischen dem 31. und 39. Tag ihrer Schwangerschaft Thalidomid eingenommen hatten. Eine Dosisabhängigkeit ließ sich dagegen nicht eruieren. Schließlich ließ sich errechnen, daß von 10 Frauen, die während des zweiten Schwangerschaftsmonats Thalidomid genommen hatten, drei bis fünf ein mißgebildetes Kind bekamen. Es besteht kein Grund anzunehmen, daß außer dem Thalidomid eine zweite Ursache für die Entstehung der in den letzten Jahren in Westdeutschland beobachteten Extremitätenmißbildungen verantwortlich zu machen ist. An analysis was made, by personal interview and questionnaire, of cases of congenital anomalies — especially those involving the limbs — that have come to the notice of the paediatric clinics of the Universities of Bonn, Cologne, Münster and Düsseldorf. The information obtained related to biological data of the families involved, their living habits (food, drinks, methods of cooking, heating, soaps and detergents used for washing and laundering, personal hygiene, contacts with plastics at home and on the job), medical and non-medical exposure to radiation, previous accidents, previous illnesses, operations, anaesthetics, use of drugs, as well as many other such details. The present paper presents the results of this enquiry from 200 mothers of children with congenitally malformed children, compared with about 300 mothers with normal children. — The mother's age at conception of the children with phocomelia was relatively high, the sex distribution was normal, surviving chances of the malformed children was markedly reduced, and there was a higher than normal percentage of miscarriages and dead-born. There was no significant familial incidence of analogous malformations in earlier generations. The incidence of such malformations was higher among certain occupational groups, such as doctors, teachers, engineers and civil servants than would have been expected from their proportion among the general population. Diseases and treatment with antibiotics and sulphonamides during the pregnancy played no demonstrable role. Exposure to radiation and atomic explosions could also be excluded as a cause, as could be anti-conception and abortifacient drugs. — Comparison with the control group excluded detergents, water softeners, consumption of eggs and oranges, as well as the use of anti-emetics as a possible cause of the malformations. However, there remained a statistically significant correlation with the consumption of thalidomide, and the suspicion of a correlation with certain hormonal tests. Further enquiries then eliminated hormonal tests as...