Abstract
Bei einem 19jährigen Mädchen sehen wir eine verhältnismäßig leichte Leberschädigung nach dem Genuß von 2 Pilzgerichten an einem Tage auftreten. Es ist fraglich, ob es sich hier um eine echte Helvellasäurevergiftung oder um eine Zersetzung der stehengelassenen und am Abend aufgewärmten Pilze gehandelt hat, wozu die warme Witterung in diesem Mai vielleicht beigetragen hat. Ikterus ist wiederholt bei Lorchelvergiftung beobachtet. Da die leicht lösliche Helvellasäure mit dem Pfortaderblut der Leber zugeführt wird, wäre eine Leberschädigung nicht verwunderlich. Nach der sonst beobachteten Zeit von mehreren Stunden, die zwischen der Mahlzeit und dem Ausbruch der ersten Vergiftungserscheinungen vergeht und die bei leichten Vergiftungen eher länger als bei schweren sein wird, ist der Schluß erlaubt, daß bei dem um 11 Uhr abends erkrankten Mädchen die Vergiftung bereits durch die Mittagsmahlzeit erfolgt war. Erscheinungen am Zentralnervensystem waren überhaupt nicht zu beobachten. Ganz anders lag der Fall der beiden Kinder. Die weit schwerere, zum Tode führende Vergiftung läßt sich leicht aus dem Genuß der Pilzbrühe, die einen Tag gestanden hatte, erklären. Wie die zeitliche Aufeinanderfolge beweist, ist die Vergiftung nicht durch die Pilze selbst, die ja durch das Brühen entgiftet waren, sondern erst durch die am nächsten Tage genossene Suppe erfolgt, in die die Helvellasäure beim Kochen der Pilze übergeht. Trotzdem betrug die „Inkubationszeit” der Vergiftung auch noch rund 9 Stunden, und die schweren Erscheinungen am Zentralnervensystem setzten erst weitere 12 Stunden später ein. Dann war allerdings das Gift schon so fest, wohl in den Ganglienzellen, verankert, daß eine Lösung nicht mehr möglich war. Diese lange Inkubationszeit ist natürlich für die Herausbeförderung der Pilzreste aus dem Magendarmkanal sehr nachteilig. Eine Leber- oder Nierenschädigung blieb ganz aus. Die unaufhaltsam fortschreitende Vergiftung des Gehirns greift schließlich auf das Atmungszentrum über und führt zum Tode. Alle Ausschwemmungsmittel wurden vergebens angewandt, das sonst so wirksam die Atmung steuernde Lobelin (z. B. bei der Skopolaminvergiftung) versagte auch vollkommen. Unterstützendes Moment für den tödlichen Ausgang war die Vasomotorenlähmung. Um eine primäre Herzschwäche handelte es sich nicht, da der Herzmuskel auf Cardiazol noch lange Zeit ansprach. Nach diesen Beobachtungen haben wir es bei der Helvellasäure mit einem schweren Zellgift zu tun, das ganz besondere Affinität zu den Nervenzellen zu haben scheint. Nach vorübergehenden Reiz-, kommt es bald zu Lähmungserscheinungen, die durch Uebergreifen auf das Atmungszentrum den Tod herbeiführen können, sobald größere Mengen im Zentralnervensystem verankert sind.